7 Monate China - Was ich mitgenommen habe
Anfang April 2017 bin ich nach China in die Provinz Henan geflogen, um für mindestens ein halbes Jahr lang an einer Sportschule Kung Fu zu trainieren. Die Reise hat mich nicht nur körperlich fitter gemacht, sondern auch mein Denken über manche Dinge verändert.
Sei geduldig und habe keine Erwartungen!
In einer Sache wurde ich immer wieder auf die Probe gestellt: Geduld! Bevor ich die Schule überhaupt erreicht hatte, war ich gezwungen über 7 h auf dem Flughafen in Zhengzhou auszuharren zusammen mit den beiden Männern aus der Schule, welche gekommen waren um mich abzuholen. Ein weiterer Schüler sollte am selben Abend ankommen. Die Fahrt zur Schule dauerte weitere 2,5 h, sodass ich erst mitten in der Nacht an meinem Ziel ankam. Die verlassenen schlichten Flure kamen mir damals kalt und einsam vor, auch das Zimmer in das ich gebracht wurde war bis auf die beiden Betten fast leer. Meine Zimmerkameradin schlief und so machte ich mich bettfertig und legte mich in das noch freie Bett. Ich kann nicht sagen, was ich genau erwartet hatte, als sich die Schule jedoch am nächsten Morgen mit Leben füllte und ich meiner Gruppe zugeteilt wurde und so freundlich von den anderen ausländischen Schülern aufgenommen wurde, habe ich mich nie mehr einsam gefühlt. Immer war jemand da, wenn ich krank war wurde nach meinem Befinden gefragt – wir waren wie eine große Familie. Das ist eines der Dinge, die ich dort besonders wertgeschätzt habe. Meine erste Zimmerkameradin ist jetzt eine gute Freundin von mir zu der ich noch immer Kontakt habe. Später war ich auf mehreren Auftritten, die oft mit langen Wartezeiten verbunden waren. Ob und wann wir zu den Auftrittsorten gefahren sind, wurde uns oft erst 5 Minuten vorher mitgeteilt. Meist aus dem Grund, das alles sowieso sehr spontan entschieden wurde.
Nicht aufgeben!
Im Training war viel Durchhaltevermögen und mentale Stärke gefragt. Mein liebstes Beispiel ist hier die Akrobatik, für die ich zunächst ein Gefühl entwickeln musste. Oft war ich frustriert, weil ich es nach dem zigsten Versuch immer noch nicht klappen wollte. Doch nun kann ich mit meinem Körper Dinge tun, von denen ich früher nur geträumt habe. Sicher ist das Entwicklungspotential nach oben noch enorm, das wichtigste ist niemals aufzugeben. Du kannst alles lernen, wenn du es nur willst – eine Sache an die ich mich auch immer wieder erinnern muss. Auch im eigentlichen Kung Fu Training fühlte ich mich – trotz meiner jahrelangen Karateerfahrung – oft wie ein Anfänger. Das Training hat mir zum einen Spaß gemacht, zum anderen war es manchmal ermüdend dieselben Bewegungsabläufe immer und immer wieder zu wiederholen. Unsere Formen haben wir jeden Tag mindestens 1,5 h trainiert, manchmal bis zu 4 h. Da nicht alle die gleiche Form trainiert haben, hat uns unser Shifu einzeln oder gruppenweise unterrichtet. Die Zeit, in der die anderen Schüler an der Reihe waren, wurde selbstständig trainiert. Eine hohe Eigenmotivation, Geduld und Kontinuität sind der Schlüssel zum Erfolg! Wie es mit der Motivation nach einer anstrengenden Woche zum Sprinttraining am Samstagmorgen aussah muss ich wohl nicht ausführen. Die größte Herausforderung war auch hier sich klar zu machen, dass es auch diesmal wieder machbar sein wird.
Unsere Shifus haben uns oft ermahnt den Grund nicht zu vergessen, für den wir nach China gekommen sind. Die Zeit ist begrenzt und wie viel wir lernen liegt daran ob wir das was wir tun wirklich mit ganzem Herzen tun. Die größten Herausforderungen waren die oft körperliche oder auch geistige Müdigkeit, die Angst sich zu verletzten und der Schmerz. Das Training hat mich gelehrt nicht zu viel nachzudenken, sondern Vertrauen zu haben und Dinge einfach mal zu tun. Du bist in der Lage so viele Dinge zu tun, du musst es einfach probieren!
Weniger ist schöner!
Das Leben an der Schule war einfach und wir haben nicht viel mehr als das Nötigste besessen. Der Tag war klar strukturiert, unsere Bewegungsfreiheit war größtenteils auf das Gelände der Schule eingegrenzt. Manch einem mag diese Beschreibung auf die eines Gefängnisses passen, für mich war es eine andere Art der Freiheit: Die Freiheit den ganzen Tag trainieren zu können ohne sich über andere Verpflichtungen Gedanken machen zu müssen. Wie du Dinge wahrnimmst und erlebst liegt einzig an deinem Blickwinkel. Für den einen waren die Mauern beklemmend, für den anderen gaben sie Sicherheit und grenzten eine kleine eigene Welt ein. Die Dinge sind weder gut noch schlecht – es liegt an deiner Einstellung zu ihnen.
Henan ist eine sehr arme Gegend in China. Das wurde mir spätestens in Peking klar, als ich das riesige Angebot an Artikeln und Lebensmitteln sah. Noch extremer wurde mir der Unterschied bewusst, als ich schließlich zurück in Deutschland das Wohnzimmer meiner Eltern betrat. Ich war beinahe sprachlos was für einen Lebensstandard ich hier in Deutschland jahrelang genossen habe, ohne das es mir jemals so bewusst gewesen war. Auch wenn ich auch meine eigene kleine Wohnung mit all ihren Dingen sehr schätze, ich habe das alles in China nicht vermisst.